Um dem überlebenden Ehegatten ein geregeltes, möglichst stressfreies, Leben zu gewährleisten, wird oftmals auf das sog. Berliner Testament zurückgegriffen. Diese letztwillige Verfügung ermöglicht es beiden Ehepartner sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen, sodass das Vermögen erst mit dem Tod des Letztverstorbenen, auf einen Schlusserben übergeht.
Die Vorteile dieser Variante des gemeinschaftlichen Testaments sind auf folgende zurückzuführen: zum Ersten wird der überlebende Ehegatte wirtschaftlich abgesichert und zum Zweiten kann eine Erbenauseinandersetzung vorläufig hinausgezögert werden. Diese, in unserer Gesellschaft beliebte Vorgehensweise, gibt jedoch Anlass zu zahlreichen Streitigkeiten. Viele von diesen Rechtsstreitigkeiten werden jedoch mit der (Un)Möglichkeit einer einseitigen Änderung durch den überlebenden Ehegatten, nachdem der Andere bereits verstorben ist, begründet. Obwohl das Gesetz grundsätzlich einen solchen einseitigen nachträglichen Sinneswandel gem. § 2271 Abs. 2 BGB untersagt, müssen sich die Gerichte, nicht selten, mit dieser Problematik auseinandersetzen. Das vom OLG Karlsruhe kürzlich ergangenes Gerichtsurteil vom 03.01.2023, das die allgemeine Regel, d. h. die nachträgliche Unveränderlichkeit des Berliner Testaments, erneut bekräftigt, stützt sich auf folgenden Sachverhalt:
Beide Ehepartner errichteten am 05.11.2000 ein Berliner Testament, in dem es heißt: „Sollte Vati oder Mutti zuerst sterben, so geht das gesamte Vermögen an den Überlebenden! Die Kinder, 1, 2 und 3 sind erst nach dem Tode beider Eltern erbberechtigt. Kind 1 soll die Wohnung bekommen. Kind 2 und 3 das Haus und das Grundstück am See! Das Geld von der Bank ist für Grabpflege, Beerdigungskosten (Stein usw.) zu verwenden. Den Rest des Geldes soll Kind 2 und 3 und für die Kinder verwenden.“
Nach dem Tod seiner Ehefrau im Jahre 2004, errichtete der Erblasser am 10.08.2013 ein erneutes Testament, das lautet: „Ich Vati habe mit meiner verstorbenen Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Durch diese letztwillige Verfügung von Todes wegen bin ich nicht beschränkt...“ Drei Jahre später errichtete der Erblasser ein drittes Testament, in dem er „seine Testierfähigkeit bestätigte, und die Beteiligte zu 1 (eins seiner Kinder), die ihn zuletzt aufopfernd gepflegt und versorgt habe, als Alleinerbin einsetzte.“
Nach dem Tod des Erblassers wurde ein Erbschein beantragt, der wiederum darlegt, dass der Verstorbenen von den Kindern zu je 1/3 beerbt worden sei. Diese Sachlage wurde auch vom Nachlassgericht bestätigt, von der Beteiligten zu 1, angebliche Alleinerbin, jedoch bestritten.
In der Beschwerde wird insbesondere aufgeführt, dass eine Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung der Eheleute nicht in Bezug auf den Erblasser vorliegen würde. Ein starkes Indiz gegen eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung stelle eine erhebliche Abweichung der Vermögensverhältnisse der Ehegatten, bzw. zulasten der Ehefrau, dar. Die Eheleute hätten in Kenntnis der Umstände zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments dem überlebenden Ehegatten sicher die Befugnis eingeräumt, die Schlusserbfolge zumindest zu Gunsten des pflegenden/betreuenden Kindes zu modifizieren.Die Beschwerde wurde mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Wechselbezüglich sind nach § 2270 Abs. 1 BGB Verfügungen die im gemeinschaftlichen Testament getroffen wurden und von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Ob eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen der Ehegatten überhaupt vorliegt, ist jedoch durch individuelle Auslegung zu ermitteln. In dieser Hinsicht besteht der Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeneinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird, und nicht unter dem Glaubenssatz, dass jeder Ehegatte die gemeinsamen Kinder nur deshalb bedenkt, weil dies auch der andere tut. Innerhalb dieser Auslegung hinsichtlich des Willen der Ehegatten bzgl. der Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen, kann es jedoch vorkommen, dass dies nicht in Bezug auf die Schlusserbeneinsetzung zutrifft, soweit ein Ehegatte über ein wesentlich größeres Vermögen als der andere verfügt. Vor dem Hintergrund, dass der vermögende Ehegatte oftmals selbst entscheiden möchte, wen er als Schlusserben einsetzt, verlangt die Rechtsprechung insbesondere in solchen Fällen eine Prüfung der Bereitschaft zu einer Wechselbezüglichkeit der Ehegatten. Von einem direkten Zusammenhang zwischen einem Vermögensunterschied der Ehegatten und ihren Willen hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügung, kann jedoch nicht ausgegangen werden. In vorliegendem Fall wurde von der Beschwerdeführerin ins Feld geführt, dass ihre Mutter, Ehefrau des Erblassers, seit Mitte der 1960er Jahre nicht mehr gearbeitet habe und schließlich das Familieneinkommen wesentlich von dem Erblasser erarbeitet wurde und die Ehewohnung aus Mitteln des Erblassers erworben wurde. Dieser Einwand wurde von dem Gericht zurückgewiesen. Nicht nur wäre von der Beschwerdeführerin verkannt worden, dass auch die Ehefrau des Erblassers ihren Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt durch Haushaltsführung sowie Erziehung und Betreuung ihrer gemeinsamen Kinder geleistat hat, sondern darüber hinaus lediglich die Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ausschlaggebend sei. Hierzu sei anzumerken, dass die Ehefrau in diesem Moment bereits ½ Eigentümerin der Wohnung sowie des gemeinschaftlichen nicht unerheblichen Geldvermögens gewesen sei. Von einer Verneinung der Wechselbezüglichkeit aufgrund eines Vermögensgefälle der Ehegatten kann demnach nicht ausgegangen werden.
Im Hinblick einer ergänzenden Testamentsauslegung stimmt es zwar, dass eine Wechselbezüglichkeit zu verneinen sein kann, wenn nach Errichtung des Testamens unvorhergesehene Umstände eingetreten sind und die Erblasser, falls sie diese Umstände bei der Errichtung vorrausschauend bedacht hätten, die Wechselbezüglichkeit für dieses Fall ausgeschlossen hätten, gleichwohl ist diese Ausnahme in vorliegenden Fall irrelevant. Beide Ehegatten waren sich zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung einig, dass sie zu Hause gepflegt wollen werden. Eine Ergänzung dahingehend, dass die Eheleute dem überlebenden Ehegatten die Befugnis eingeräumt hätten, die Schlusserbfolge zumindest zugunsten des pflegenden Kindes zu modifizieren ist schon angesichts fehlender Unvorhersehbarkeit des Umstands zurückzuweisen. Eine angemessene Entlohnung zugunsten der Beteiligten zu 1 für ihre erbrachte Pflegeleistungen, ungeachtet der Tatsache, dass Sie hierzu einen Anspruch gem. § 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB geltend machen kann, hätte bereits zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen können.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass ein Berliner Testament ein zweischneidiges Schwert darstellt. Während beide Ehegatten der Erbauseinandersetzung entfliehen können, ist ein, nach dem Tod eines der Ehegatten, einseitiger Sinneswandel nur schwierig bzw. (un)möglich und Beratung umso notwendiger.
Fachanwalt für Erbrecht Dr. Markus Artz
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